Dem Fremden begegnen

Das Unbekannte und Andere in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Autor/innen

  • Gabriel Gähwiler

DOI:

https://doi.org/10.54717/kidsmedia.10.1.2020.3

Schlagworte:

Michael Ende, Sozialkritik, Nachkriegszeit

Abstract

In den literarischen Werken des deutschen Schriftstellers Michael Ende (1929–1995) ergänzen sich die äussere Welt und die kunstvolle, geistige Welt durch Verschränkung und vervollständigen sich auf diese Weise zu einer Einheit. Losgelöst von Konventionen und Stereotypen werden starre Strukturen und Grenzen überwunden und lassen die Realität und die Phantasie als Wechselspiel erscheinen. Auf dieser Grundlage ist der im Jahre 1960 erschienene Roman Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer entstanden. Das zum Kinderbuchklassiker avancierte Werk handelt vom Jungen Jim und seinem erwachsenen Freund und Mentor Lukas, die ihre begrenzte, idyllische, dem kindlichen Spiel nachempfundene Lebenswelt auf der kleinen Insel Lummerland zusammen mit der Lokomotive Emma verlassen, um eine neue Heimat zu finden. Auf der abenteuerlichen, phantastischen Reise ins Unbekannte und Ungewisse lernen die beiden Protagonisten eine neue Welt ausserhalb der vertrauten, geregelten Ordnung und der reibungslos funktionierenden Ereignisabläufe kennen. Ende schildert die wundersamen, spannenden Begebenheiten in einer kindlichen Märchen- und Phantasiewelt mit spielerisch-humorvollem Einfallsreichtum und Wortwitz. Die temporeiche, tiefsinnige und stellenweise auch sozialkritische Geschichte lässt für die Entwicklung persönlicher schöpferischer Kräfte viel Spielraum zu. 
Die kulturelle Fremderfahrung aus der Erlebnisperspektive und Weltsicht sowohl eines Kindes als auch eines Erwachsenen ist in der Handlung von zentraler Bedeutung. Aus diesem Grunde wird der Fokus auf die Fragestellung gelegt, wie Jim und Lukas das Andere, Fremde rezipieren. Mit welcher Einstellung und Haltung gehen die beiden Reisenden mit den für sie ungewohnten Sitten und Gepflogenheiten einer ihnen fremden fernöstlichen Kultur um und wie reagieren sie auf die Begegnung mit fremdartigen sozialen Aussenseiterfiguren? Es zeigt sich, dass im Laufe eines Lern- und Entwicklungsprozesses Annäherungen an eine fremde Kultur und an verstossene Kreaturen durchaus möglich sind. Dabei gelingt es insbesondere dem Kind, seine vorurteilsreiche, konfrontative Sichtweise zu ändern und sich eine individualisierte Sichtweise anzueignen. Damit sensibilisiert die Geschichte für ein friedliches Zusammenleben der Menschen verschiedener Kulturzugehörigkeit, das auf interkultureller Kommunikation und gegenseitiger Wertschätzung basiert. Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ist ein Beitrag zur damals so genannten Völkerverständigung im Sinne einer besseren Zukunft. Die Geschichte entspricht dem Wunsch der Kinderliteraturszene in der unmittelbaren Nachkriegszeit, durch Kinderbücher zur Erziehung zu Weltoffenheit und Toleranz beizutragen und dadurch ein hoffnungsvolles Weltbild zu vermitteln.

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Veröffentlicht

2020-03-01

Zitationsvorschlag

Gähwiler, G. (2020). Dem Fremden begegnen: Das Unbekannte und Andere in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. kids+media : Zeitschrift für Kinder- Und Jugendmedienforschung, 10(1). https://doi.org/10.54717/kidsmedia.10.1.2020.3